Oder warum wir nicht alles an die große Glocke hängen sollten.
Was ist für uns eigentlich besonders? Wie definieren wir das und wie übertreiben wir die Funktion und Identität eines Ereignisses, Gegenstandes oder einer Person? Und warum machen wir das besonders bei ersten Malen so oft?
Definition von besonders
Vor einiger Zeit habe ich mich gefragt, was eigentlich „besonders“ ist, also, was macht etwas besonderes aus? In einem Versuch der Klärung habe ich bei Duden recherchiert:
Ich finde dabei die Definition „außerordentlich“ sehr gut. Denn etwas Besonderes ist immer etwas, das nicht regulär ist, das heraussticht und sich abhebt. Dennoch denke ich auch, dass wir manche Dinge in unserem Leben, für mehr besonders halten, als andere, obwohl diese einen ähnlichen Charakter besitzen. Wir meinen dann oft nur, dass etwas besonders ist.
Erste Male erstmals im Alter?
Wenn uns etwas das erste Mal in jungen Jahren widerfährt oder wenn wir in jungen Jahren etwas zum ersten Mal tun, dann ist es meist nicht so besonders. Im Vergleich hingegen steigt der Grad der „Besonderheit“ mit dem Fortschreiten unseres Alters.
Beispielweise ist es nicht so besonders im jugendlichen Alter die ersten Male betrunken zu sein. In hohem Alter das erste Mal betrunken zu sein, erachten wir aber als so realitätsfern, dass es als besonders gilt. Schließlich war doch jeder mal in seiner Jugend betrunken!
Zur Klärung der Frage also, weshalb wir manche Dinge als mehr besonders erachten, habe jetzt zwei Theorien:
- Etwas wird für mehr besonders gehalten, wenn die/der Akteur:in, sich dessen eher bewusst ist. Wenn sie/er quasi schon die Bedeutung und den Stellenwert des Ereignisses kennt und es mit ihrer/seiner Umwelt teilen kann.
- Etwas gewinnt an Bedeutung im Hinblick auf den Grad der Besonderheit, wenn wir älter sind, da man dieses Ereignis durch die lange Lebensdauer und somit hohe Lebenserfahrung bereits erlebt haben müsste.
Wobei beim ersten Punkt auch genau das Gegenteil der Fall sein kann. Wenn beispielsweise ein kleines Kind einen Ball mit einem schwierigen Wurf in einen Basketballkorb befördert, dann ist es sich des Stellenwerts dieser Aktion nicht zwangsweise bewusst und das lässt wiederum den Wurf umso besonderer werden.
Andererseits gibt es aber auch Dinge, die ein gleiches Maß an Besonderheit im jungen sowie im späten Alter haben. Ein Knochenbruch beispielsweise wird bei jungen Menschen immer sehr dramatisiert, obwohl diese eine hohe Regeneration haben. Im Alter wird ein Knochenbruch aber ebenso dramatisiert, da dort die Sorge hoch ist, dass solch eine Verletzung das Leben der/des Verletzten dauerhaft einschränkt. Weiterhin ist jede Verletzung im Alter auch gleich ein gesellschaftlich akzeptierter und metaphorischer Vorbote des Todes, der uns im Alter immer näher zu kommen scheint.
Die Häufigkeit ist entscheidend
Wenn wir beim Beispiel des Knochenbruchs bleiben, dann ist die Häufigkeit hier sehr entscheidend. Denn wenn wir uns das erste Mal einen Knochen brechen, dann ist das besonderer als wenn wir uns zum fünften Mal einen Knochen brechen. Mit der Häufigkeit eines Ereignisses stumpfen wir also ab.
Ich beziehe mich hier nicht auf Häufigkeit im rein zeitlichen Rahmen. Beispielsweise kann ein:e Künstler:in besonders sein, wenn zum Beispiel ein Bild von ihm/ihr in einer Galerie ausgestellt wird. Wenn aber eine Ausstellung lediglich aus Werken eines/einer Künstler:in besteht, dann ist ein Bild unter vielen meist nicht besonders. Also stumpfen wir in diesem Sinne genauso ab, wie im vorherigen Beispiel.
Große Gefühle: Das Erste Mal
Aber warum sind manche ersten Ereignisse so besonders?
Warum ist es beispielsweise so besonders, dass wir unser erstes Mal haben, aber warum ist es nicht besonders den ersten Atemzug nach unserer Geburt zu tun?
Kommt das daher, dass es schlichtweg erwartet wird, dass wir nach der Geburt atmen?
Aber wird es denn nicht genauso erwartet, dass wir irgendwann einmal unser erstes Mal haben werden?
Das sind beides ganz natürliche Dinge, dennoch wird eines für besonderer als das andere gehalten. Möglicherweise zählt dabei die Anstrengung zur Erreichung erster Male eine Rolle. Denn Atmen kann ja jeder, das erste Mal zu haben, gestaltet sich schon etwas schwieriger, denn dafür ist eine weitere Person notwendig und diese gilt es zu „überzeugen“.
An dieser Stelle könnte man auf eine der vorangegangenen Theorien zurückgreifen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir bei unseren ersten Atemzügen uns deren einfach noch nicht bewusst sind und „einfach machen“. Anders als bei anderen ersten Malen, wo wir uns selbst ggf. erst einmal überwinden müssen etwas zu tun. Und da andere auch schon in unseren Schuhen steckten und die Überwindung und ggf. auch die Gedanken und Gefühle daraus noch kennen, wird diesem Ereignis eine höherer Grad Besonderheit beigemessen.
Keine Zeit zu verlieren
Vielleicht liegt es aber auch einfach an der Dauer des jeweiligen Ereignisses. Zu kurz und wir erachten es nicht als sehr besonders, weil wir es mit den Sinnen kaum greifen können. Zu lange und es ist nicht mehr besonders, weil es einem Dauerzustand ähnelt und somit nicht mehr außerordentlich ist und wir erneut abgestumpft werden.
Ein Ereignis muss also dazwischen liegen, um auch als besonders deklariert zu werden. Wo wir dabei die Grenze ziehen, ist wahrscheinlich von Individuum zu Individuum unterschiedlich.
Was für dich besonders ist, ist nicht für mich besonders
Das ist doch irgendwie klar. Schließlich haben wir auch alle ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht und sind verschieden geprägt.
Das bedeutet allerdings auch, dass wir allen Leuten die wir antreffen unsere eigenen Erfahrungen und Normen aufzwängen. Das kommt auch daher, da wir selbst unser eigener Maßstab sind. Alles was dann davon abweicht gilt sofort als „besonders“. Nur weil wir schon hier und dort hingereist sind, ist es doch nicht besonders, wenn unser Gegenüber noch nie Außerhalb seines Heimatlandes war, oder doch?
Manche Menschen setzten eben ihre Prioritäten anders, manche besitzen vielleicht auch einfach nicht das Geld für solche Sachen oder sparen ganz einfach auf eine größere Investition.
Jetzt aber mal ganz ehrlich:
- Müssen wir unseren ersten Flug schon vor dem Erreichen des 21. Lebensjahr von unserer Erste-Mal-Liste abgehakt haben?
- Müssen wir so schnell wie möglich all diese Lebenserfahrungen sammeln, obwohl wir wahrscheinlich noch ewig viel Zeit dafür haben werden?
- Oder haben wir insgeheim alle Angst wir könnten etwas verpassen, weil etwas anderes passiert, das nicht in unserer Macht steht?
- Muss man denn überall immer mitreden können und sollten wir uns nicht eher darüber freuen, dass wir manche Dinge noch zum ersten Mal erleben dürfen?
Ich denke viele Sachen werden auch einfach überspitzt und sind gar nicht so besonders, wie wir uns diese immer vorstellen. So kann es dann passieren, dass wir schnell von ach so besonderen Ereignissen enttäuscht werden können, weil diese von der Gesellschaft und Medien, wie beispielsweise Hollywood so übertrieben dargestellt werden.
Interessanterweise gibt die Google-Bildersuche auch kein eindeutiges Ergebnis, wenn man nach „etwas besonderes“, „Besonderheit“ oder ähnlichem sucht. Es gibt schlichtweg keine eindeutige Definition für diese Eigenschaft, da sie eine ganz andere Definition überall dort annimmt, wo der Betrachter ein anderer ist.
Zusammenfassung
Ich habe nun einmal versucht die Kriterien die über den Grad der Besonderheit entscheiden aufzuführen. Meiner Meinung sind das:
- Wann in unserem Leben etwas passiert
- Die Häufigkeit mit der etwas in unserem Leben passiert
- Wie nachvollziehbar etwas ist
- Wie lange etwas dauert
- In welchem Kontext etwas passiert / bzw. was wir selbst als besonders empfinden
Eine kleine Anekdote
Im Rahmen meines Deutschunterrichts in der Schule, sollten wir ein Mal alle Dinge mitbringen die wir mit Romantik in Verbindung bringen, denn es sollte den Einstieg in das Thema „Epoche der Romantik“ erleichtern. Meine Lehrerin brachte uns Ausschnitte von Datingportalen mit, Einige brachten Kerzen, Andere Rosen. Ich hatte gar nichts dabei.
Einfach nichts.
Denn was für mich damals, wie heute klar ist, dass im Grunde jeder Gegenstand romantisch sein kann.
Je nachdem welches Ereignis mit diesem Gegenstand in Verbindung gebracht wird, kann er einen hohen sentimentalen Wert annehmen. Ich meine sogar ein einfacher Stein kann romantisch sein, wenn dieser beispielsweise beim ersten gemeinsamen Treffen gleichzeitig von beiden Personen aufgehoben werden wollte. Es kann aber genauso gut ein bestimmtes Gericht oder ein Ort sein. In der bekannten Serie „How I Met Your Mother“ ist es beispielsweise ein blaues Horn. Außenstehende können ganz oft nicht den persönlichen Wert eines Gegenstandes, Ortes, usw. erkennen.
In dieser Hinsicht, kann also wahrlich alles besonders, oder wie hier eben romantisch sein. Wie wir das für uns selber definieren, sollte auch unser eigenes Problem sein, aber vielleicht sollten wir manche Dinge, die von der Gesellschaft überspitz werden, einfach nicht so sehr an die große Glocke hängen.
Und damit besonderen Dank fürs Lesen und
bleibt auf Umwegn!
„Old Woman“ Photo by Cristian Newman
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